_Überall Andere!_
Die Skulpturen von Markus Keuler wirken mit starker körperlicher Präsenz im Raum und zum Betrachter. Sie scheinen einen eigenen Standort einzunehmen, in dem sie in sich ruhen, von dem aus sie uns begegnen und uns in Resonanz versetzen – körperlich, emotional, geistig.
Dabei entsteht ein Raum im Raum, ein Raum zwischen Betrachter und Skulptur, der am ehesten als Beziehung bezeichnet werden kann. Dieses Raumerleben von Beziehung macht die Qualität der Skulpturen von Markus Keuler aus: sie begegnen uns als Gegenüber.
Die offensichtliche Ähnlichkeit seiner Figuren zu Menschen mit Down-Syndrom ist dabei zwar nicht entscheidend, ermöglicht aber das Gewahrwerden von Unterschieden – von Vertrautheit und Fremdheit. Dieses Gewahrwerden kann „das, was ich mir bin“, in Frage stellen.
(Klaus Beverungen, 2012)
[...]
Was Ihre Skulpturen angeht, ist das zuerst mal mächtig
Aber diese Skulpturen sind in sich stimmig, allem voran diese unerhörte Schwerkraft, die eine emotional präzise Verbindung zu den Gesichtern und deren Ausdruck eingeht.
Das ist eine skulpturale (!) Leistung. Denn darum geht es primär. Nur dadurch kann das Anderssein adäquat gewährleistet werden.
Chapeau!
Freundlich grüßt Sie Ihr
(Brief vom 16.11.2011, Auszug)
_es geht ans Eingemachte_
Du hast – abgesehen von einem einjährigen Gastaufenthalt bei Stephan Balkenhol in Karlsruhe – hier an der Bremer Hochschule für Künste Bildhauerei studiert und warst Meisterschüler von Bernd Altenstein: was verbindet dein Werk mit diesen Wurzeln?
Am Anfang wollte ich unbedingt „richtige“ figürliche Bildhauerei machen. Ich dachte, „wer solche Kunst macht, muss das wohl ernst meinen“, denn für einen ironischen Kommentar ist das schließlich viel zu viel Arbeit! Die Entscheidung für Bremen war dann eindeutig, denn im Gegensatz zu anderen Hochschulen gab es hier das, was ich zu anfangs suchte: ein Naturstudium, also Aktzeichnen, Aktmodellieren und eben echte Bildhauerei in festen Materialien. Ausschlaggebend für Bremen war aber vor allem die Tatsache, dass sich damals hier Studenten getroffen haben, die sich eben auch für figürliche Bildhauerei interessiert haben. Da gab es einen Austausch. Dieser Austausch war mir wichtig, vielleicht auch deshalb, weil ich aus einem Bereich komme, indem ich vorher nichts mit Kunst zu tun hatte. In Karlsruhe gab es das nicht.
Kann man also das Arbeiten am Figürlichen als „kleinsten gemeinsamen Nenner“ der Bremer Bildhauerschule bezeichnen?
In meiner Generation war das schon so, da gab es diese Arbeit am Figürlichen. Da haben sich einige Menschen getroffen, die tatsächlich daran geglaubt haben, dass die Figur auch heute noch ein adäquates Ausdrucksmedium sein kann – aber andere Generationen sind damit ja ganz anders umgegangen.
Über Jahre schon prägt die menschliche Gestalt in Form von lebensgroßen Holzskulpturen dein Arbeiten, seit 2001 widmest du dich der Darstellung von Menschen mit Down-Syndrom, warum?
Entstanden ist das aus einem ganz anderen Zusammenhang: Ich habe damals meine Arbeitsbedingungen radikal ändern müssen und viel modelliert, vor allem Porträts. Parallel zu diesen „tatsächlichen“ Porträts habe ich angefangen, Porträts aus der Erinnerung zu schaffen. Unter anderem auch das Bildnis eines Menschen, der durch eine psychische Erkrankung und viele Medikamente etwas aufgequollen war, so dass ich damals glaubte, Ähnlichkeiten mit dem Down-Syndrom zu erkennen. Es war der Versuch Ähnlichkeiten in den Äußerlichkeiten herzustellen, dafür sozusagen eine Form zu finden, denn ich hatte schon immer das Bedürfnis Form und Inhalt zusammenzubringen. Es war also nur ein erster Schritt, der natürlich total schief gegangen ist, weil Menschen mit einer Psychose ja ganz anders sind als Menschen mit Down-Syndrom. Dadurch ist aber ein Erinnerungsprozess bei mir in Gang gekommen, an eine Zeit, in der ich mit Menschen mit Down-Syndrom zu tun hatte. Seitdem fesselt mich etwas an dieser physiognomischen Fremdheit und hat mich bisher nicht mehr losgelassen. Aber es ist eindeutig über das praktische Arbeiten entstanden, aus dem Portrait, war also nicht einfach eine Idee.
Sind deine in den letzten Jahren geschaffenen ganzfigurigen Skulpturen denn aus dieser beschriebenen „erinnernden Haltung“ entstanden?
Größtenteils, ja. Wenn ich modelliere ist es immer eine Übersetzung, die nur indirekt mit demjenigen etwas zu tun hat, der mir gegenüber sitzt. Die Erinnerung bietet da einen wichtigen Abstand, der für mich nötig ist, wenn ich mir ein Bild von der Welt machen möchte. Sowohl die Erinnerung als auch die Wahrnehmung sind kreative Prozesse und keine absoluten Größen, werden also bis auf neuronaler Ebene von so vielen Faktoren beeinflusst, dass das was wir hier vermeintlich sehen, etwas ist, worauf wir uns als Konsens gemeinsam verständigt haben. Darin liegt wohl die schönste Möglichkeit der Kunst: Fragen an diese Wirklichkeit zu stellen und Möglichkeiten zu erproben, wie es sonst noch sein könnte.
Die auf einen Gendefekt zurückzuführende Trisomie 21 äußert sich im körperlichen Erscheinungsbild in einer verblüffenden Einheitlichkeit: ein Erscheinungsbild, was als Gruppe definiert aber auch gleichzeitig gegenüber dem allgemeinen Schönheitsdiskurs stigmatisiert. Wie unterscheiden sich deine Figuren von den balkenhol’schen „Jedermännern“?
Balkenhols Arbeiten zeichnen sich ja gerade dadurch aus, dass sie keinen Inhalt transportieren, möglichst neutral sind, so dass jeder etwas damit anfangen kann. Meine Arbeiten grenzen wohl eher aus: sie sind jedenfalls erst einmal fremd, es gibt keine Selbstverständlichkeit im Umgang. Sie stehen eher für eine andere Wirklichkeitswahrnehmung. Das kann unglaublich bereichernd sein, weil darüber natürlich die eigene Wahrnehmung in Frage gestellt wird – all das, woran wir uns durch unsere gesellschaftliche Prägung gewöhnt haben: Man verliert somit ein bisschen Sicherheit, während sich neue Möglichkeiten öffnen! Ein „Jedermann“ kann das nach meiner Meinung nicht leisten, der entspringt ja sozusagen dem Konsens. Und ganz nebenbei finde ich auch, dass man meinen Arbeiten immer noch ansieht, dass sie aus dem Porträt entstanden sind: sie unterscheiden sich immer noch etwas voneinander.
Fast allen deinen meist lebensgroßen Figuren begegnen wir ebenerdig. Der Betrachter bekommt in ihnen ein Gegenüber. Wie kann es Kunst gelingen, zum wirklichen Gegenüber zu werden und über eine neutrale Oberflächenwahrnehmung hinauszuführen?
Bei meiner Arbeit spielt Empathie tatsächlich eine große Rolle. Wenn ich beim Arbeiten vor meinen Skulpturen stehe, versuche ich beispielsweise immer ihre Haltungen einzunehmen: Ich spüre selbst immer nach, wie steht die Skulptur da, wie nehme ich was wahr, wie nehmen andere das wohl wahr? Steht sie ein bisschen wackelig, steht sie fest, schwankt sie etwas, beugt sich nach links, nach vorne, steuert vielleicht der Kopf oder der Arm dagegen? Das sind alles Elemente, die für die Menschlichkeit in der Skulptur (ich nenne es einfach mal Menschlichkeit), für die Wiedererkennung und Interaktion wichtig sind. Darüber baue ich so etwas wie Präsenz auf, eine Form von Lebendigkeit. Das kann aber natürlich nur dann funktionieren, wenn diese Menschlichkeit vom Betrachter auch als solche wahrgenommen wird – da sind wir dann wieder bei der Empathie. Beziehungsweise bei den Spiegelneuronen, denn angeblich bewirken diese, dass wir uns bei anderen beobachtete Zustände nicht nur vorstellen können, sondern diese tatsächlich auch empfinden können, manchmal sogar unwillkürlich. Deshalb steckt Gähnen angeblich an oder es tut uns förmlich selbst weh, wenn sich jemand anderes z.B. in die Hand schneidet.
Die Frage nach der Begegnung mit dem Anderen/dem Fremden ist ja auch immer ein Erkennen des Anderen durch einen Vergleich mit sich, mit dem gewohnten Schönheitsideal, mit dem gesellschaftlichen Kodex. Wie kann eine Kommunikation bei scheinbar mehr Differenzen als Gemeinsamkeiten stattfinden?
Der Versuch, sich möglichst weit zurückzunehmen und unvoreingenommen hineinzuversetzen, ist immer schon mal viel wert. Ab einem gewissen Punkt tauchen dann auf einmal doch Berührungspunkte auf – selbst wenn sie nur rar gesät sind – anhand derer man sich vortasten kann und die dann eben doch zu einer Kommunikation beitragen. Meine Figuren begegnen sich untereinander bewusst nicht im Blickkontakt, denn einerseits möchte ich nicht, dass sie dadurch eine in sich geschlossene Gruppe bilden, und anderseits hätte ich immer das Gefühl: da komm man als Betrachter nicht mehr dazwischen. Mir ist aber wichtig, dass sie Kontakt zu ihrer Umwelt aufnehmen, zum Raum, zum Betrachter.
Deine Skulpturen bauen sich aus geschlossenen, kubischen Formen auf, fassen Naturformen zusammen, verdichten. Präzise werden Haltung und menschliche Gesichtszüge gesetzt, ohne dass in ihrer Gestaltungsweise Porträtcharakter beansprucht wird. Es gibt „Sebastiane“, „Marias“ oder „Thorstens“ genauso wie den „Rollkragen“, „Stummherum“ oder den „Flieger“: wie würdest du dieses Verhältnis von Ähnlichkeit und Wirklichkeit beschreiben?
Es geht mir um Entsprechungen. Meines Erachtens darf Kunst nicht so sein wie Wirklichkeit, denn dann geht zu viel verloren. Ich bin kein Freund des totalen Realismus, weil diese Arbeiten so sehr auf eine Wirklichkeit zugeschnitten sind, auf die wir uns geeinigt haben. Ich misstraue diesem Realismus. Dennoch behalte ich in meinen Arbeiten eine gewisse Nähe zur Wirklichkeit, da nur aus ihr sich Inhalte generieren und in ihr ein Korrektiv zu finden ist. Der Formfindungsprozess, das Abstrahieren und Verdichten, ist dann für mich eine Möglichkeit, diese unglaublich komplexe Welt zu vereinfachen und begreifbar zu machen. Dabei hat das Material Holz sowohl von seiner Farbigkeit als auch von seiner Oberflächenbeschaffenheit eine Präsenz, mit der ich gut umgehen kann, das mir aber dennoch eine gewisse Flexibilität gewährt.
Könnte man deine Arbeit als eine Suche nach Berührungspunkten beschreiben, als eine Arbeit am „blinden Fleck“?
Ja genau. Die Begegnung zwischen Individuen und was da passiert ist ein ganz wichtiger Aspekt. Ich möchte mich selbst und den Betrachter auch damit konfrontieren, dass wir keine Ahnung davon haben, wie die Welt wirklich ist. Dass es noch so viele Möglichkeiten gibt, wie sie sein könnte. Und dass da eben auch Andere sind, die diese Welt vielleicht ganz anders sehen als wir und die uns damit bereichern können.
Seit einiger Zeit experimentierst Du mit einer zunehmenden Oberflächenbelebung. Einerseits durch eine stärker aufgebrochene Oberfläche, zum anderen durch Farbe. Was kann durch die farbliche Gestaltung zusätzlich erreicht werden?
Entscheidend ist natürlich immer, was für eine farbliche Gestaltung man wählt. Meines Erachtens muss das Element „Farbe“ eine zusätzliche Ebene in der Betrachtung eröffnen. Wie es eine erste Wahrnehmungsebene gibt – auf der man erkennt, es handelt sich um einen Menschen, merkt, es ist ein Gegenüber, was sich bewegt oder nicht, lebt oder nicht lebt, das man nicht mag oder mag – gibt es aber immer noch eine Nahsicht, in der zusätzliche Bewegungen auf dem Objekt stattfinden. Die bewegte Oberfläche beim „Lachenden“ (Alpakka, 2010) hat sich dabei aus dem Thema entwickelt. Das Lachen, die Belebung, sollte den ganzen Körper bis in die Oberflächenstruktur durchziehen.
Dein für die Ausstellung gemachter „Weltempfänger“ sitzt unter einem belichteten Überbau: welche Rolle spielt die „Lichtregie“ für deine Skulpturen?
Licht spielt vor dem Hintergrund der Materialität meiner Skulpturen eine sehr wichtige Rolle. Es ist gar nicht so einfach, ein Licht zu setzen, in dem holzsichtige Skulpturen gut wirken, ihre Formen klar erkennbar sind und sie gleichzeitig auch ihre Präsenz entfalten können. Aus dieser Erfahrung heraus habe ich begonnen, mein Licht mitzudenken und teilweise eben auch mitzubauen. Dabei fand eine Entwicklung statt, von anfangs einfachen, von der Decke abgehängten Neonröhren über die Idee, dass die Beleuchtung mit den Skulpturen ein Gesamtbild ergibt, trotzdem aber immer noch additiv als Skulptur plus Beleuchtungskörper wahrgenommen wird, bis hin zu dem momentanen Versuch, mittels der Beleuchtungskonstruktion etwas ganz Eigenes zu schaffen, was meine Vorstellung von der Begegnung mit einer fremden Welt verstärkt. Das aktuelle Konstrukt ist daher auch eigene Wege gegangen und hängt jetzt als Elefant im Atelier.
(Interview anläßlich der Ausstellung im Gerhard-Marcks-Haus, Fragen von Dr. Yvette Deseyve, 2010)
| ![]() |